Warum braucht es geschlechtsloses Theater?
Angesichts des aktuellen gesellschaftlichen Backlashs, der sich auch durch Anti-Feminismus, dem aggressiven Festhalten an reaktionären Geschlechter- und Familienbildern, sowie durch gezielte Angriffe von Akteur*innen der sog. Neuen Rechte gegen Theater(schaffende) ausdrückt, müssen wir Theater als utopischen und emanzipativen Raum, in dem sexuelle Vielfalt, alternative Lebensformen und befreite Sinnlichkeit erfahrbar werden verteidigen.
Dabei hat das Theater selbst ein massives Sexismusproblem und feministische Institutionskritik bitter nötig: Wir brauchen andere szenische Bildern und Narrationen, die die Darstellung von Körpern, Lebens- und Liebesformen der Realität entsprechend auf den Bühnen vervielfältigen, die angebliche ‚Natürlichkeit’ von Zweigeschlechtlichkeit entmystifizieren und schlichtweg nur noch als eine Variante unter vielen performen.
Was will geschlechtsloses Theater?
Bei der Forderung eines geschlechtslosen Theaters geht es nicht um die Nivellierung von Differenz und Vielfalt, sondern im Gegenteil um die (zunächst theatral zu erprobende) Übertretung und Loslösung von einschränkenden Geschlechterrollen und -zuschreibungen.
Entgegen einer ohnehin nicht die gelebte Praxis vieler Menschen widerspiegelnden normierenden Verknappung und Komplexitätsreduzierung und der Reproduktion einiger weniger Identitäten, tritt das geschlechtslose Theater für wirkliche Vielfalt ein. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, kann es nicht bei der benötigten Kritik und Hinterfragung gängiger Ästhetiken in Bezug auf Geschlechterdarstellung und -reproduktion auf, vor und hinter der Bühne stehen bleiben, sondern muss auch die Entwicklung einer geschlechtslosen Ästhetik vorantreiben.
Über die Kritik und Problematisierung gegenwärtiger Geschlechter- und Reproduktionsverhältnisse hinaus erforschen wir das antizipative Potenzial queerer Politiken, versuchen neuartige soziale Verbindungen, Bilder und Bewegungsformen hervorzubringen und anti-identitäre Darstellungsformen zu entwickeln, die das Performen von Gender durchbrechen, überwinden und/oder vervielfältigen.